Startseite » Überlinger Münster St. Nikolaus » Die Baugeschichte des St. Nikolaus-Münsters in Überlingen, beschrieben und gezeichnet

Die Baugeschichte des St. Nikolaus-Münsters in Überlingen, beschrieben und gezeichnet

                                                                       


Das gotische St. Nikolaus-Münster in Überlingen zählt zu den größten Kirchen am Bodensee.

Umfangreiche Sanierungsarbeiten waren zwischen 1908 und 1924 unabwendbar. Dazu mussten auch die Fundamente der Wände und Säulen freigelegt werden. Bei diesen Ausgrabungen stieß man innerhalb des Kirchenschiffs auf Grundmauern und Reste architektonischer Bauteile mehrerer bisher unbekannter romanischer Vorgängerbauten.

Außerdem wurden bei den Sanierungsarbeiten umfangreiche und sehr detaillierte Bauaufnahmen vom gesamten Münster erstellt.

Die durch Ausgrabung gewonnenen Erkenntnisse hat 1938 Josef Hecht beschrieben und durch eigene Aufmaß-Zeich-nungen ergänzt in seinem Buch: „Das St. Nikolaus-Münster in Überlingen, der Bau und seine Ausstattung“.

Sie wurden auch 2008 von Alois Schneider aufgenommen in: „Archäologischer Stadtkataster Baden-Württemberg, Band 34, Überlingen“.

Diese Beschreibungen der einzelnen Bauphasen und die detaillierten Aufmaß-Zeichnungen haben mich angeregt, die Baugeschichte des Überlinger Münsters digital dreidimensional darzustellen und dabei die Entwicklung an einzelnen Stationen in die allgemeine Stadtgeschichte einzubinden.

Carl Fahr, Dipl. Ing. freier Architekt BDA

Überlingen, 2023

Der Grundriss des Überlinger Münsters.

In den Grundriss des heutigen Münsters (grau) sind farbig eingetragen die Fundamente der romanischen Vorgängerkirchen. Sie wurden bei umfangreichen Sicherungs- und Sanierungsarbeiten zwischen 1908 und 1924 freigelegt und dokumentiert.

grün:                erster Kirchenraum um 1000

gelb:                dreischiffige Basilika etwa Mitte 12. Jh.

braun:              Erweiterung um Chor und Seitenkapellen Ende 13. Jh.

rot:                   Erweiterung des Kirchenschiffs um 2 Joche nach Westen, vor Baubeginn des gotischen Chores um 1350

St. Nikolauskapelle in Überlingen, erste romanische Bauphase

„Der älteste Kirchenbau an dieser Stelle ist eine wohl im 10.Jahrhundert erbaute einschiffige Saalkirche ohne ausgebildeten Chor, in der Längsachse und in der Breite des heutigen Mittelschiffs“

Archäologischer Stadtkataster Überlingen

Diese erste Kapelle entstand vermutlich bei einer Ansiedlung nahe beim Dobelbach, der damals noch der natürlichen Topografie folgend im Verlauf der heutigen Spital- und Kronengasse lag.

zweite romanische Bauphase

„Die Befunde zeigen, dass im 12. Jahrhundert eine dreischiffige, flach gedeckte Säulenbasilika entstanden ist“

Archäologischer Stadtkataster Überlingen

Die bei Ausgrabungen gefundenen Reste von Säulen, Säulenbasen, Fensterstürzen, Bogenfriesen und Gewänden der Haupt- und Seitenportale (leider keine Reste von Kapitellen) erlauben eine ungefähre zeichnerische Darstellung des Innenraumes

dritte romanische Bauphase

„Ende des 13. Jahrhunderts werden die Seitenschiffe nach Osten verlängert und an den neuen, das seitherige Hauptschiff fortsetzenden, jetzt zweijochigen Rechteckchor angeschlossen.“

Archäologischer Stadtkataster Überlingen

Mitte des 14. Jahrhunderts, evtl. Gesamtplanung eines neuen gotischen Münsters

1350 erhielt Eberhard Rab den Auftrag zum Bau eines neuen gotischen Münsters. Seine Gesamtplanung ist nicht bekannt. Vieles deutet aber darauf hin, dass Mittelschiff und Seiten-schiffe als Hallenkirche auf den Fundamenten der alten romanischen Basilika geplant waren. Beispielhaft im Grund-riss eingezeichnet die Frauenkirche in Esslingen, die fast gleichzeitig erbaut wurde (ab 1321 bis Ende des 14.Jh.)

grau: der Grundriss der Esslinger Frauenkirche mit drei Kirchenschiffen und je sechs Jochen. Das Mittelschiff und die Seitenschiffe sind unterschiedlich breit und haben Kreuz-gewölbe.

magenta: die Überlinger romanische  Basilika bis zum Abbruch 1429

rot: die gotische Erweiterung der rom. Basilika mit Chor und Türmen zw. 1350-1440 und (hellrot) eine evtl. westliche Erweiterung der Kirchenschiffe (vorhanden sind Fundamente und Säulenbasen im romanischen Jochmaß)

die evtl. Münsterplanung im 14. Jh. mit Bebauung und Bachlauf 

Ansicht von Süd-Westen

Ansicht von Nord-Osten


die erste gotische Bauphase, 1350–1380,  Chor und Nordturm

„die Gründungsinschrift für den Bau des heutigen Münster-chors (und des Nordturms) datiert von 1350, Verlängerung des Chors um 2 Joche sowie Ausbildung eines 5/8 Schlusses“

Archäologischer Stadtkataster Überlingen

die romanische Basilika lag ca.1,5m unter dem heutigen Kirchenschiff, der gotische Chor ca.0,9m darüber; ein Höhen-unterschied von ca.2,4m zwischen Chor und Kirchenschiff.

Baubeginn des Südturms und der Chorumbau zwischen 1380-1420

Kurz nach 1400 wurde eine Erweiterung des Chors nach Osten und der Ausbau des Südturms in Angriff genommen.

  Ulrich Knapp in 1100 Jahre Kunst und Architektur in Überlingen

um 1400 wird zusammen mit dem Bau des Südturmes der Chor teilweise wieder abgebaut, um ein zusätzliches Joch verlängert und um ca.2,60m (8 Fuß) höher wieder errichtet. Die Chorweihe war am 16. April 1408.

der Blick vom Kirchenschiff zum Chor z.Zt. des Konstanzer Konzils 1414 bis 1418

Raumeindruck des Überlinger Münsters zur Zeit des Konzils.

Diese Zeichnung zeigt den Blick aus dem noch romanischen Kirchenschiff in den neuen, höher gelegenen und noch nicht eingewölbten gotischen Chorraum

Planänderungen ab ca. 1420 bis 1429

1420 hatte man den Entschluss gefasst, die Bauarbeiten am Überlinger Münster wieder aufzunehmen, die ursprüngliche Planung aber nicht weiter zu verfolgen. Diese hätte einen vorherigen Abbruch der alten romanischen Kirchenschiffe notwendig gemacht. Um dies zu vermeiden, haben:

„Bürgermeister und Rat der Stadt den Plan erwogen für einen Neubau von überraschender Kühnheit, erstaunlich vor allem nach den Ausmaßen“

Josef Hecht

Man plante jetzt um die romanische Basilika herum, die zunächst erhalten bleiben konnte, eine noch größere Hallenkirche als ursprünglich vorgesehen:

drei fast gleich hohe lichtdurchflutete Kirchenschiffe mit acht Jochen und 24 gleichen Gewölbefeldern, je 10×14 Ellen (5,91×8,25m) groß, Gewölbe getragen von 14 freistehenden Säulen, die in Längsrichtung durch Scheidbögen verbunden und in Querrichtung durch Druckbalken und Zugeisen mit den mächtigen Stützpfeilern der Außenwände verankert werden sollten.

Die geplante Hallenkirche war in ihrer Raumwirkung völlig verschieden vom Raumeindruck der alten romanischen Basilika.

Statt der bisher geschlossenen, umhüllenden und schützenden romanischen Architektur sollte sich der neue gotische Kirchenraum über extrem breite und hohe Fenster in die Weite öffnen, den Blick in die Höhe richten, himmelwärts, in ein Firmament aus Sternengewölben.

und dies war der neue Konstruktionsgedanke:

1. neue Außenwände, Strebepfeiler, Säulen und Scheidbögen entstehen außerhalb der alten romanische Kirche

2. nach Abbruch der romanischen Kirche werden die restlichen Säulen aufgestellt und in Längsrichtung durch Scheidbögen, in Querrichtung durch Druckbalken und Zugeisen mit den Strebepfeilern der Außenwände verbunden

3. auf den Scheidbögen und Außenwänden werden die Dachstühle aufgerichtet und eingedeckt.

4. dem Baufortschritt folgend werden unter den Dächern die vorbereiteten 24 Gewölbefelder eingesetzt.

Erhaltene Bauteile geben Auskunft über die ehemals geplanten Außenwände, Pfeiler, Säulen, Scheidbögen und Gewölbe, nicht jedoch über evtl. Dachformen. Konstruktiv und wirtschaftlich sinnvoll wäre ein Satteldach über dem Mittelschiff mit quergestellten Satteldächern über den Seitenschiffen wie hier dargestellt (wie Elisabethkirche Marburg).

die Raumwirkung der geplanten Hallenkirche

Diese Zeichnungen zeigen den geplanten hohen und weiten Hallenraum, Kirchenschiffe mit sehr breiten, raumhohen Fenstern und den Blick in die Gewölbe, in ein sich himmelwärts öffnendes Firmament aus Sternengewölben.

ca. 1420, Baubeginn der Hallenkirche

ab 1420 wurde der Westgiebel in voller Höhe errichtet, auch die Säulen und Scheidbögen der anschließenden Joche. Die Seitenwände waren vermutlich in ihrer gesamten Länge in einer Höhe bis über den Scheitel der Portalbögen fertig gestellt, als die Baumaßnahmen eingestellt wurden.

Der Hallenplan wird aufgegeben

„Mit den kühnen Absichten seines Plans ist leider der Meister Hans Dietmar an den Schwierigkeiten der nur empirisch zu lösenden Aufgabe gescheitert“.  

Josef Hecht

um ca. 1425 eine erneute Planänderung

Es wurde ein Versuch unternommen, die räumliche Idee mit niedrigeren Seitenschiffen zu verwirklichen. Die Giebelseiten wurden teilweise abgebrochen, die Mittelschiff-Arkaden mit Obergaden und Fenstern umgebaut und die Außenwand des nördlichen Seitenschiffs für den Anschluss an ein Netzgewölbe vorbereitet und überdacht.  

Von dieser Bauphase sind im nördlichen Seitenschiff des Münsters in den Jochen 7+8 noch Spuren und Bauteile erhalten.

im Joch 7+8 auf der NW-Seite wurde geplant und teilw. ausgeführt:

1          das Mittelschiff blieb unverändert in der ursprünglichen Höhe und Breite, erhielt aber einen Obergaden mit Fenstern,

2          die Seitenschiffe wurden in geringerer Höhe überwölbt mit einer Reihe von Mittelstützen. Sie sollten ein Netzwerk aus Tragrippen erhalten ohne trennende Scheid- und Gurtbögen.

3          die mittigen Säulen dieser Seitenschiffe waren nicht auf den Fundamenten der romanischen Basilika geplant. Für sie mussten separate Fundamente nach Abbruch der Basilika angelegt werden.

4          die Seitenschiffe wurden mit Pultdächern und quergestellten Satteldächern über jedem Joch eingedeckt.

Aus dieser bisher unbekannten Planungsphase sind in den Jochen 7 und 8 des nördlichen inneren Seitenschiffs noch Spuren der ehemals ausgeführten Dächer erhalten.

Die eingemessenen Gewölbeanfänger an den Mittelschiff-Säulen dieser Joche erlauben eine genaue Rekonstruktion der geplanten Gewölbeform. Die Gewölbeanfänger passen allerdings nicht zu den ca. 120 Jahre später eingebauten „abgeknickten“ Gewölberippen

Diese Perspektive zeigt die Planung der Joche 7+8 mit Netzgewölben über einer mittigen Säulenreihe.

Ausgeführt hiervon wurden die Mittelschiff-Arkade mit den Gewölbeanfängern, der Umbau der Giebelwand, die Nordfassade mit gotischen Fensterbögen sowie die Dächer über diesen beiden westlichen Jochen, nicht jedoch die geplanten Mittelsäulen und Gewölbe.

die Raumwirkung dieser veränderten Hallenplanung

Diese Zeichnungen zeigen die geplanten Änderungen in den Seitenschiffen. Die Gewölbefelder zwischen der Mittelschiffarkade und der Außenwand sind gegliedert durch eine Säulenreihe aber ohne trennende Scheid- und Gurtbögen

aber auch diese Planung wurde wieder aufgegeben

Vor 1429 wurde dann aber unter diesen Dächern, evtl. als „Musterachse“, eine weitere Arkade eingebaut. Sie lag in der Flucht der Außenwand der alten romanischen Basilika.

So entstanden zwei ungleich breite, in der Höhe gestaffelte Seitenschiffe.

Diese „Muster-Bauteile“, besonders die freistehenden Arkaden, wurden konstruktiv durch breite Gurtbögen gesichert, vermutlich wetter-fest geschlossen und als Bauhütte verwendet.

1429 war die romanische Basilika abgebrochen, der Bau einer Hallenkirche wurde endgültig aufgegeben, eine gotische Basilika entstand:

Wie in den nordwestlichen Jochen als „Muster“ vorgegeben, wurde ab 1429, beginnend an Chor und Türmen, mit dem Bau des gotischen Münsters begonnen. Über den Fundamenten der romanischen Basilika wurden die neuen Arkaden mit Obergaden und Fenstern für eine fünfschiffige Basilika errichtet.

Die fertig gestellten Bauteile wurden mit einem Satteldach gedeckt und provisorisch gegen die Baustelle geschlossen, vermutlich zunächst nur die ersten sechs Joche.

1436 waren die Geldmittel erschöpft.

Bis 1440 wurde noch der Südturm bis zum 3. Geschoß fertiggestellt. 1444 wurde die Osanna-Glocke (6,8t, d=1,98m) gegossen und im Glockenstuhl des Südturms aufgehängt, der anschließend seine bis heute „provisorische“ hölzerne Haube erhielt

ab 1470, Einbau der Seitenkapellen

ab 1470 wurden zwischen den Strebepfeilern, beginnend auf der Südseite, Kapellen eingebaut, auf der Nordseite zunächst nur in den ersten beiden Jochen.

1494 wurde der Nordturm um drei Stockwerke erhöht und erhielt ein Viergiebeldach.

Das Problem der Belichtung

Der Einbau der Seitenkapellen und die dadurch entstehende Gebäudebreite von fast 34m führte besonders im Mittelschiff des Münsters zu sehr großen Belichtungsproblemen.

ab 1512, Umbau der Dächer und Einbau der Gewölbe


Gutachten mehrerer Zimmerleute machten 1512 den Vorschlag, das gewaltige Satteldach umzubauen, die Fenster des Mittelschiff-Obergadens frei zu legen, die Seitenschiffe mit einem Pultdach zu versehen und so die Belichtungsprobleme des Mittelschiffs zu beheben.

Mit dem Dachumbau wurde wieder auf der Südseite begonnen, dann folgten die ersten drei Joche auf der Nordseite.

Die Pultdächer wurden allerdings so hoch am Obergaden angesetzt, dass die untere Hälfte der Fensterfläche zwischen dem Maßwerk zugemauert werden musste.

Zwischen 1544 und 1555 wurden die restlichen Kapellen auf der Nordseite eingebaut, der Umbau der Dächer in den Jochen 4 bis 8 weitergeführt und abgeschlossen.

50 Jahre Gewölbeeinbau 1512-1562

Ab 1512 wurde mit dem Gewölbeeinbau begonnen.

Die Arbeiten dauerten mit Unterbrechungen ca. 50 Jahre.

Die Anfänger der Gewölbe waren bereits mit dem Aufbau der Wände, Säulen, Arkaden und Obergaden eingesetzt worden. Auf ihnen wurden jetzt die Gewölberippen und -kappen aufgebaut.

1562 war mit der letzten Vierung im 8.Joch des Mittelschiffs der Gewölbeeinbau vollendet.

3 Gewölbearten finden wir im Überlinger Münster: Kreuz-, Stern- und Netzgewölbe.

Sie sind im Grundriss mit den ungefähren Einbaudaten bezeichnet. Die Gewölbe wurden teilweise mehr als 100 Jahre zuvor durch den Einbau der zugehörigen Gewölbeanfänger vorbereitet. Dies betrifft z.B. die Gewölbe im Chorraum, deren Anfänger bereits ab 1350 durch den Meister Eberhard Rab eingebaut wurden.

Planänderungen bedeuteten für die Ausführung der Gewölbeanschlüsse eine besondere Herausforderung. Dies betraf im Überlinger Münster besonders das Aufsetzen der Gewölberippen in den Jochen 7 und 8 des nördlichen inneren Seitenschiffs auf die Gewölbe-Anfänger, die ursprünglich für eine völlig andere Gewölbeform vorgesehen waren und führte zu formalen Brüchen, die sich deutlich am Übergang der obersten Steinschicht der alten Gewölbeanfänger (vor 1429) zu den aufsteigenden Gewölberippen (ca.1560) abzeichnen.

Auch eine Besonderheit des Gewölbebaus finden wir im Überlinger Münster: Schlingrippen-Gewölbe.

Diese Spielform des spätgotischen bzw. des Renaissance-Gewölbebaus waren ursprünglich in den Jochen 6, 7 und 8 des südlichen inneren Seitenschiffs sowie in der Vorhalle des Süd-West-Portals vorhanden. Sie wurden vermutlich in den letzten Jahren der Überlinger Münsterbauzeit eingefügt und bei der Sanierung 1908-1924 in den Jochen 7 und 8 durch Sterngewölbe ersetzt.

eine Zeichnung des Überlinger Münsters, eingebettet in der Enge mittelalterlicher Bebauung

die Nordwest-Ecke des Münsters (rechts in der Zeichnung) war bis 1888 zusammengebaut mit der Außenwand der ehemaligen Probstei   

die Südwest-Ecke des Münstergiebels verläuft bis heute schräg entlang der Grundstücksgrenze des ehem. Beginenhauses, genannt „auf dem Bogen“, bis 1928 Gasthaus „zur Hölle“, heute Münsterstraße 13

1547 erhielt das Westportal eine Vorhalle, 1563 wird der Bau besichtigt: „ob er werschafft gemacht oder nit“ und die„stainhütten uf dem Kürchhove„ abgeräumt.

Archäologischer Stadtkataster Überlingen

Umbauten und Ergänzungen nach der Bauabnahme in den folgenden Jahrhunderten

11 Jahre nach Abschluss des Kirchenbaus wurde 1574-1576 das Viergiebeldach des Nordturms abgebrochen und durch ein Oktogon mit welscher Haube ersetzt.

1586 wird in die Vorhalle des Westportals zur Erschließung der Empore und der Dachräume oberhalb der Gewölbe des Mittelschiffs eine Wendeltreppe eingebaut.

1887 wird eine hölzerne Empore abgebrochen und durch die heutige Orgelempore mit einer neogotischen Sandsteinbrüstung ersetzt.

Diese Schnittbilder zeigen die Wendeltreppen, die von der Vorhalle zur Orgelempore und weiter hinauf in den Dachstuhl über dem Mittelschiff führen.

Ergänzungen des 19. Jh. im Stile der Neogotik

Von 1838 bis1841 sind die Strebepfeiler der Nord- und Südfassaden saniert und durch neugotische, aufgesetzte Fialen ergänzt worden.

1887 wurde die hölzerne Empore im letzten Joch der Kirchenschiffe abgebrochen und durch die heutige Empore mit einer Sandsteinbrüstung ersetzt.

1888 ist die Nord-Westseite des Münsters durch Abbruch der sog. Probstei freigelegt worden. Bei der Sanierung der Giebelwand wurden zur Fassadengliederung auch hier Strebepfeiler mit Fialen vorgeblendet.

Um 1900 gab es Bestrebungen, durch gotische Zierformen den Westgiebel und die breiten Pultdächer über den Seitenschiffen zu gliedern, besonders aber durch den Umbau der Türme das Äußere des Münsters „stilgerecht zu gotisieren“.

Am 13. August 1939 setzte eine bengalische Beleuchtung zum Seenachtsfest den Turmhelm des Nordturms in Brand.

1951 wurden Oktogon und oberstes Geschoss des Nordturms abgetragen und in Betonbauweise neu errichtet

.

das Münster heute im Überlinger Stadtbild

„Der barocke Turmabschluss war „den Stilpuristen schon immer ein Gräuel. Aber die Überlinger haben sich an den Anblick der stilwidrigen Laterne längst gewöhnt.“ So erhielt „Die Silhouette … durch einen launischen Einfall ihren prägnantesten Zug“

             Josef Hecht 1938 in: „St. Nikolaus-Münster in Überlingen“

4 Antworten zu „Die Baugeschichte des St. Nikolaus-Münsters in Überlingen, beschrieben und gezeichnet“

  1. Avatar von Matthias Ankenbrand
    Matthias Ankenbrand

    Grüß Gott,
    war heute zum ersten Mal im Münster, bin überwältigt.
    Aber diese Arbeit hier stellt alles in den Schatten, was ich bisher in den Fingern hatte. Zuerst einmal scheint es eine unglaubliche Fleißarbeit zu sein, aber letztlich ist es ein Krimi. Auch die Visualisierungen, whow!
    Herzlichen Dank von einem Bewunderer der spätgotischen Architektur. (Zu dessen Lieblingen die Akexanderkirche und die Stadtkirche Wimpfen gehören…)
    Herzliche Grüße

  2. Avatar von Rolf Schäfer

    Sehr geehrter Herr Fahr, Ihre Arbeiten/Veröffentlichungen faszinieren mich ungemein! Welch interessante Details zur Baugeschichte des Überlinger Münsters durch Ihre intensive Forschung doch zutage getreten sind! Zu gern würde ich die Hintergründe wissen, warum die geplante und bereits begonnene dreischiffige Stufenhallenkirche des Hans Dietmar letztlich nicht verwirklicht wurde. Die von Ihnen nachgewiesene geänderte Bauplanung, nach der eine Basilika mit Seitenschiffen, die jeweils als gleichbreite zweischiffige Hallen gestaltet werden sollten, wäre bautechnisch komplizierter gewesen als die zuvor vorgesehene dreischiffige Stufenhallenkirche (z. B. was die Ableitung des Gewölbedrucks des Hauptschiffs und der Dachlasten betrifft) und wäre sicherlich genau so anfällig gewesen in Bezug auf schlechten Baugrund etc.. Genau so rätselhaft stellt sich mir die letztliche Planänderung in eine fünfschiffige Staffelbasilika dar. Vorteilhaft war zumindest die Tatsache, dass für die Seitenschiffpfeiler die Fundamente der romanischen Basilika genutzt werden konnten. Der Abriss der romanischen Kirche war Voraussetzung für die Bauausführung der fünfschiffigen Staffelbasilika, aber der Abriss wäre gleichwohl erforderlich gewesen für die Errichtung der Basilika mit den doppelten Hallenseitenschiffen. In Bezug auf die Baumasse dürften sich beide Lösungen in etwa die Waage halten: Was bei der fünfschiffigen Staffelbasilika an Mehr für die Arkaden zwischen den beiden Seitenschiffen benötigt wird, wird wettgemacht durch die niedrigeren Außenwände und die wiederverwendeten romanischen Fundamente. Versprach man sich durch die fünfschiffige Staffelbasilika eine höhere Stabilität als durch die grazilere Lösung mit den Hallenseitenschiffen? Wie dem auch sei, es ist und bleibt ein spannende Geschichte. Ihre Arbeiten sind jedenfalls faszinierend, und ich werde sie sicherlich noch mehrfach intensiv studieren.

    Beste Grüße
    Rolf Schäfer

    1. Avatar von Carl Fahr

      Sehr geehrter Herr Schäfer,
      herzlichen Dank für Ihren Kommentar zu meiner Darstellung der Baugeschichte des Überlinger Münsters.

      Zu Ihren Ausführungen zu dem architektonisch interessantesten Jahrzehnt vor genau 600 Jahren:

      Der Vorteil der Überlinger Hallenkirchenplanung lag ja, einmal abgesehen von der „moderneren“ Raumwirkung des himmelwärts sich öffnenden, lichtdurchfluteten Raumes, in der bautechnisch viel einfacher zu lösenden Aufgabe einer möglichst material- und kostensparenden Ausführung in kürzest möglicher Bauzeit: nur jeweils 5 Säulen und die darauf ruhenden Scheidbögen beidseitig des Mittelschiffs waren nach Abbruch der romanischen Basilika auf den vorhandenen Fundamenten zu errichten und darüber die Dachstühle über Mittel- und Seitenschiffen. Rationeller ging es nicht.

      Die ursprüngliche Hallenkirche hatte ein sehr klares und einfaches statisches System. Durch die Umplanung war, wie Sie richtig anmerken, eine Änderung der Statik notwendig. Es sollten jetzt möglicherweise Druckbalken in oder unter der Dachkonstruktion der Seitenschiffe – wie in der Gotik üblicherweise die steinernen Strebebögen über den Dächern – den Gewölbeschub auf die mächtigen Strebepfeiler ableiten.

      Eine stützenfreie Dachkonstruktion zwischen Mittelschiffarkade und Außenwand muss über den nördlichen Jochen 7 und 8 bereits ausgeführt worden sein, wie vorhandene Bauspuren zeigen. Die freitragende Dachkonstruktion bedeutete ebenfalls einen Material- und Zeitgewinn: nach dem Aufbau der Mittelschiffarkaden konnten nicht nur das Mittelschiffdach, sondern auch die Seitenschiffdächer sofort errichtet werfen, da ja die Außenwände lt. Hecht bereits bei Aufgabe der ursprünglichen Hallenschiffplanung bis über den Scheitel der Seitenportale hochgezogen waren. Dies bedeutet: die Außenwände waren bis etwa Kämpferhöhe der nach der Umplanung vorgesehenen Seitenschifffenster fertiggestellt.

      Nach dem erneuten Baustopp und der Umplanung zu einer 5-schiffigen Basilika wurden Gewände und Maßwerk nicht in Form der Spitzbögen ausgeführt, sondern wegen des niedrigen Dachtraufs notgedrungen mit flachen „Tudorbogen“ abgeschlossen.

      Die jetzt entstandenen, in Breite und Höhe verschiedenen Seitenschiffmaße ergaben sich aus den Differenzen zwischen Mittelschiffarkaden, Außenwänden und den neuen Arkaden zwischen den Seitenschiffen auf den ehemaligen romanischen Außenwand-Fundamenten, also zufällig. Im Gegensatz zu den vorausgegangenen Planungen, bei denen man die Anwendung der gotischen Bauregeln des „ad quadratum“ und „ad triangulum“ nachvollziehen kann.

      Baumeister Hans Dietmar gescheitert? Was war der Grund? Eher eine Aufgabe für Historiker, Bauforscher? Jedenfalls sehr spannend! Aber als Architekt kann ich Ihre Frage nach dem Warum, sehr geehrter Herr Schäfer, bisher nicht beantworten.

      Mit freundlichen Grüßen
      Carl Fahr

  3. Avatar von Rolf Schäfer

    Sehr geehrter Herr Fahr,

    vielen lieben Dank für Ihre Antworten zu meinem Kommentar. Als einen möglichen Grund für das Entstehen der fünfschiffigen Staffelbasilika und das Fallenlassen der Pläne für die fünfschiffige Basilika mit den gleichbreiten Hallenseitenschiffen könnte ich mir eventuell vorstellen, dass man dadurch dem durch den niedrigen Spitzbogen abgetrennten Chorraum zu besserer Wirkung verhelfen und ein im Raumeindruck überlegenes (leicht und licht wirkendes) Langhaus vermeiden wollte. Vielleicht sind ja sogar die Höhe der Arkaden der äußeren Seitenschiffe und die Höhe des Chorbogens identisch, so dass hier ein direkter Bezug zwischen den Bögen besteht – auf Fotos lässt sich das leider nicht richtig erkennen. Eine Anmerkung habe ich noch zu den
    Tudorbögen in den Fenstern der Seitenkapellen: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass diese Bögen entstanden sind, um eine maximale Lichtausbeute zu erzielen – ganz abgesehen von der reizvollen Wirkung. Ob solche Tudorbögen auch bereits an den Seitenschifffenstern vor Entstehen der Kapellen vorhanden waren oder ob da noch „normale“ Spitzbögen (aber freilich niedriger angesetzte als von Hans Dietmar geplant) zum Einsatz kamen? Ich vermute, es gibt dahingehend keine Bauspuren mehr nach dem Herausbrechen der Seitenschiffwände. In Überlingen reichen die spätgotischen Chorfenster der Kirche St. Jodok bis ganz hinauf zu den Gewölbeschildbögen, so dass sich dadurch ein beinahe dreieckiger Fensterabschluss ergibt – eine interessante Parallele zu den Münsterfenstern, wenn auch durch die geringe Fensterbreite in reduzierter Form. Ansonsten fallen mir als Patallelbeispiel in Deutschland noch die Fenster des Nordseitenschiffs des Braunschweiger Doms ein.

    Freundliche Grüße aus Gelsenkirchen von

    Rolf Schäfer

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert